Montag, 14. Februar 2011

Homilie von Dom Erwin Kräutler zum 6. Todestag der Ermordung von Dorothy Stang

"Ein heiliges Erbstück gilt es zu verteidigen"

Doroty, Liebe bis ans Äußersten

Homilie anlässlich des sechsten Todestages der Ermordung von Schwester Dorothy Mae Stang NDdN

„Wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt.“ (Röm 8,20)
„Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!“ (Lk 12, 49)

Schwestern und Brüder in Jesus Christus,
geliebtes Volk Gottes in Anapu und an der Transamazônica!

Am 12. Februar 2005 erreichten die Wasser- und Geisttaufe (vgl. Apg 1,5) von Schwester Dorothy Stang und ihre Hingabe als Ordensschwester an Gott in ihrer Feuer- und Bluttaufe die Vollendung. Die Fotos der auf der Straße hingestreckten Schwester zeigen uns, wie das Blut, das aus den tödlichen Löchern strömte, die Erde vom PDS „Hoffnung“ durchdrang. Schwester Dorothy vollendete ihr Leben, das den Armen und dem Regenwald Amazoniens gewidmet war, in einer endgültigen und totalen Hingabe. Ihr Leben wurde von den Gegnern des Siedlungsprojekts für nachhaltige Entwicklung (PDS) genommen. So vollendete sie am eigenen Leib, „was an den Leiden Christi fehlt"(Kol 1,24). Sie vereinigte sich mit dem Blut Christi, Symbol und Wirklichkeit für ihre Liebe, die bis ans Äußerste ging.

„Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen! Ich muss mit einer Taufe getauft werden und ich bin sehr bedrückt, solange sie noch nicht vollzogen ist. (Lk 12,49-50)

Ich glaube, dass es für die Feier des Jahrestages der Ermordung von Dorothy keine geeignetere Bibelstelle gibt, um Mission und Martyrium unserer Schwester besser auszudrücken. Die beiden Verse des Lukasevangeliums verweisen auf die sechste Vollversammlung des Volkes Gottes am Xingu im November 2009. Sie waren das Motto unseres großen Treffens, zu dem Vertreter der ganzen Prälatur gekommen waren, um Schwerpunkte und Leitbilder für die Pastoral und Evangelisierung bis 2014 zu erarbeiten. Der Geist von Schwester Dorothy war bei unseren Treffen immer gegenwärtig. So ist der Brief, der an alle Brüder und Schwestern gerichtet ist, die mit uns am Xingu unterwegs sind, ein Abbild ihrer Überzeugung: "Wir wollen eine Kirche sein, die sich am Aufbau des Reiches Gottes engagiert, eine samaritanische Kirche, die ihr Herz für die Leidenden öffnet, aber auch eine prophetische Kirche, die Aggression und Respektlosigkeit gegenüber der Würde und der Rechte der Menschen energisch verurteilt, und die sich gegen Projekte und Programme erhebt, die Heimat und Umwelt, wie Gott sie für alle Menschen geschaffen hat, zerstören. "

Die Sorge um die Würde und die Menschenrechte waren bei unserer Verkündigung des Evangeliums immer maßgebend. Für uns ist selbstverständlich, dass der Kampf um das Leben der Völker dieser Region nie von der Verteidigung des Amazonas getrennt werden kann: Wälder, Gewässer, die prächtige Artenvielfalt. Denn dieses Amazonien ist die Garantie für das physische und kulturelle Überleben der Menschen, die hier wohnen. Wir sind überzeugt, dass die Achtsamkeit und die Sorge für Gottes Geschenk der Schöpfung zur Verkündigung und zur Bezeugung des Evangeliums dazu gehören. Bereits 1990 bedauerten die Bischöfen von Pará und Amapá "das Verbluten Amazoniens", das "bereits die Grenze erreicht hat, und Gottes Schöpfung stöhnt im Todeskampf." Sie warnten, dass die Übel, die die Region heimsuchen, irreversible ökologische Katastrophe zur Folge haben können, die "katastrophal für das gesamte Ökosystem sein und ohne Zweifel die Grenzen Brasiliens und des Kontinents überschreiten werden."

Im September 2007 versammelten sich die Bischöfe des gesamten brasilianischen Amazonasgebiets in Manaus und veröffentlichen wiederholt ein Dokument, das auf der ersten Lesung dieser Messe basiert: „Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.“ (Röm 8,21-22). Die Hirten Amazoniens beklagten, dass "die sogenannte ‚Entwicklung Amazoniens’ Abholzung und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen gebracht habe, ohne Evaluierung der Folgen. Das ist ein Entwicklungsprozess, der die Natur und den Menschen unterdrückt, weil es auf ökonomistischen Perspektiven begründet ist, vor allem am Gewinn orientiert, ohne soziale und ökologische Verantwortung. (...) Die Erlösung der Menschheit schließt die Rettung der geschaffenen Welt mit ein. Das bedeutet umdenken und für eine adäquate Entwicklung eintreten, an der alle beteiligt sind.

Wir sind heute hier nicht nur versammelt, um Schwester Dorothy zu gedenken, die brutal aus unserer Mitte genommen wurde und für ihren Mut zu danken, mit dem sie Amazonien und seine Völker immer verteidigt hat. Der Hauptgrund dieser Feier des sechsten Jahrestags ihres Todes ist, um Gottes Gnade zu bitten, weiterhin standhaft und mutig im Kampf für eine Welt zu bleiben, wo Gerechtigkeit und Frieden herrschen und wo die Umwelt respektiert wird. Wir wollen auch den gegenwärtigen Moment nutzen und uns fragen, was aus dem Vermächtnis geworden ist, das uns Schwester Dorothy hinterlassen hat. Ich habe hier das letzte Interview, das sie einem Journalisten am 2. Februar 2005, genau 10 Tage vor ihrer Ermordung, gegeben hatte. Dorothy gestand in diesem letzten Gespräch vor den Medien: "Unsere Leute sind sehr geängstigt nd verzweifelt (...). Großgrundbesitzer und Holzhändler treiben sich mit verschiedenen Pistoleiros im PDS herum. Sie dringen in die Höfe ein, zielen mit Waffen auf die Siedler und drohen unser Volk zu töten (...) Das Leid ist sehr groß. Ich glaube fest an Gott und ich weiß, er ist bei mir. Ich rede lieber vom Leben als vom Tod. Unser Volk hat ein Projekt für ein besseres Leben - im PDS. Ich habe keine Zeit, an etwas Schlimmes zu denken. Aber wenn sie mich töten, möchte ich in Anapu begraben werden, bei diesen bescheidenen Menschen. Pará ist meine Heimat geworden."

Sechs Jahre sind vergangen, seit Schwester Dorothy diese ihre letzten Worte über die Medien an die Welt gerichtet hat. Ich frage mich heute: Was hat sich wirklich verändert? Wie ist die Realität der im PDS angesiedelten Familien? Ich weiß nur eins: sie sind weiterhin verzweifelt. Aber noch viel mehr schmerzt, wenn wir sehen müssen, dass viele Menschen, die zu Dorothys Lebzeiten ihren Kampf für die Kleinen im PDS unterstützt haben, heute nicht mehr mit uns gehen. Leider haben sie die Seiten gewechselt. Sie verteidigen eigene Interessen oder die einer Gruppe und versuchen, Schwester Dorothys Traum zu töten und zögern nicht, jene Ideale zu verraten, für die sie ihr Blut vergossen hat.

„Wir wissen, dass die gesamte Schöpfung seufzt.“
„Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!“

Es ist nicht das Feuer der Brandrodungen!
Es ist das Feuer, das unser Herz brennen lässt, damit wir Sorge tragen für das Geschenk der göttlichen Schöpfung und, im Namen Gottes, die Rechte und die Würde der Völker Amazoniens verteidigen.

Anapu, 12 Februar 2011

Erwin Kräutler
Bischof am Xingu


Quelle: Prelazia do Xingu, Übersetzung: © PlattformBeloMonte
Doroty, amor levado até ao extremo.
Homilia proferida por ocasião do 6º aniversário do assassinato da Irmã Dorothy.