Dienstag, 22. Dezember 2015

Bischof Kräutler: Franziskus ist „väterlich und brüderlich“

Bischof Kräutler: Franziskus ist „väterlich und brüderlich“

Papst Franziskus hat eine unumkehrbare Wende eingeleitet. Das sagte Bischof Erwin Kräutler im Interview mit Radio Vatikan. Kräutler, ein gebürtiger Österreicher, wirkt seit 25 Jahren in der größten Diözese Brasiliens. Die Kirche in Lateinamerika steht in der Seelsorge vor großen Herausforderungen. 90 Prozent der Gemeinden in Amazonien sind ohne reguläre Eucharistiefeiern. Im Gespräch mit Radio Vatikan spricht er über das Pontifikat des lateinamerikanischen Papstes und schildert, wie Papst Franziskus über aktuelle Herausforderungen in Lateinamerika denkt.

Radio Vatikan: Herr Bischof Kräutler, Papst Franziskus wirkt bald drei Jahre als Oberhaupt der katholischen Kirche. Wie beurteilen Sie sein Pontifikat?

Bischof Erwin Kräutler: „Ich bin nach wie vor begeistert davon, wie er das führt und wie er sich gibt. Da ist nichts Gekünsteltes bei ihm. Er kommt aus Lateinamerika, das spürt man sofort. Er hat keine Berührungsängste. Das ist sehr wichtig. Er will genau das: Er will als Papst mit und unter dem Volk sein. Bezeichnend war auch, dass gleich am Anfang die erste Reise, die er vom Vatikan gemacht hat, nach Lampedusa war, genau dorthin, wo es am ärgsten ist. Er wollte ein Zeichen setzen: Ich möchte ihnen sagen, ich bin mit ihnen. Ich kann nicht alles lösen von heute auf morgen, aber ihr könnt mit mir rechnen. Ich möchte solidarisch im liebenden Sinn sein, hingehen und sagen: Leute, ich tue alles, was in meinen Kräften steht, damit ihr leben könnt. Es geht ums Leben, ums nackte Überleben.“

RV: Der Papst findet in vielen Bereichen sehr klare Worte. Auch für Sie als Bischof?

Kräutler: „Wir sind Brüder aller unserer Geschwister, wir haben den Dienst und freuen uns mit dem Volk, unter dem Volk zu sein. Papst Franziskus spricht vom Geruch der Schafe. Ich meine, wenn ich mich absetze, werde ich den Geruch der Schafe nie spüren. Der Geruch der Schafe meint, dass ich dabei bin, dass ich mit ihnen, unter ihnen bin, und dass mich die Leute auch akzeptieren als ihren Bruder, der im Bischofsamt ist.“

RV: Sie sind Sekretär der bischöflichen Kommission von Amazonien und haben in dieser Funktion den Papst letztes Jahr im Rahmen einer Privataudienz getroffen. Wie haben Sie ihn erlebt?

Kräutler: „Ich möchte sagen: väterlich und brüderlich. Papst Franziskus empfängt einen praktisch bei der Tür und dann ist es einfach so mitbrüderlich. Er fragt auch: Wie denkst du über dies und jenes? Was hast du für Vorschläge? Und im Grunde genommen war es bei der Privataudienz so, dass er nicht gesagt hat: Jetzt reicht es, sondern er saß einfach da und ich habe mir gedacht, ich möchte es länger belassen. Früher sind nach einer gewissen Zeit die Türen aufgegangen und dann raus mit dir, so ungefähr. Das ist bei ihm nicht der Fall.“

RV: Sie haben dem Papst unterschiedliche Erfahrungen aus Ihrer langjährigen Tätigkeit als Bischof in Brasilien geschildert, haben mit ihm auch über Probleme und Schwierigkeiten in Lateinamerika gesprochen. Ein Punkt dabei sind die eucharistielosen Gemeinden. Was hat Ihnen der Papst gesagt?

Kräutler: „Wir sollen konkrete Vorschläge machen. Er sagt sogar, beinahe verwegene Vorschläge, kühne Vorschläge. Dass wir den Mut haben zu sagen. Er wird das nicht im Alleingang machen, sondern wie man es auch spürt: Er hört auf die Leute. Er will, dass Konsens geschaffen wird oder dass man in irgendeiner Region Versuche startet, damit Leute tatsächlich Eucharistie feiern können. Wenn man die Enzyklika „Dies domini“ von Johannes Paul II. liest, dann sagt dieser ganz klar, es gibt keine christliche Gemeinde, es sei denn, sie versammle sich um den Altar. Um Gottes Willen: Dann müssen wir auch Wege schaffen, dass das passiert. Wie diese Wege aussehen, da gibt es in Brasilien bereits eine Kommission.“

RV: Zum Schluss, Herr Bischof Kräutler, was dürfen wir uns vom Pontifikat von Papst Franziskus in Zukunft erwarten?

Kräutler: „Eine Wende. Es ist schon eine Wende. Ich glaube, wir sind da schon angekommen an einem ‚Point of no return‘. Ich glaube kaum, dass ein nächster oder übernächster Papst das einfach ungeschehen machen kann, was Franziskus heute bedeutet.“